Mit „Polina Star IV“ realisierte die niederländische Contest Werft eine hochgradig individualisierte 26-Meter-Slup für einen sicherheitssensiblen Eigner. Seine 85CS deckt ein Blauwasser Spektrum von dunkel bis türkis ab.
Vor Elba im Mittelmeer – sechs Beaufort wahrer Wind und elf Knoten Fahrt sorgen für kräftiges Pfeifen an Deck. Wellen schäumen. Gut 50 Tonnen Schiff, verteilt auf knapp 26 Meter Länge, arbeiten mächtig in der blauen See. In einigen Wellen züngelt Gischt an Deck, die „Polina Star IV“ schiebt ordentlich Lage. Das ungereffdurch das Meer. Das erkennt jedoch nur, wer durch besagte Fenster im Rumpf nach draußen blickt und dort das Wasser vorbeirauschen sieht.
Der Kapitän als Eignervertreter
Denn auch die Bewegungen sind hier, im Zentrum der Macht, eher ruhig. Nur schief ist alles. Überall im Schiff findet die nach te Groß und ein Stagsegel stehen wie Bretter im Wind. Enorme Kräfte wirken auf den gesamten Rumpf und auf den Karbonmast von Hall Spars, der auf dem Festkiel steht. Draußen fühlt sich das irgendwie gewaltig an. Urgewaltig. Laut. Beeindruckend. Der nächste Weg führt unter Deck, um aus den Rumpffenstern in Lee einen Halt suchende Hand eine Leiste, ein Rohr oder einen Griff. „Darauf hat vor allem Alessio großen Wert gelegt“, berichtet Contest-Yachts-CEO Arjen Conijn, der mit an Bord ist. Alessio heißt mit Nachnamen Cannoni und ist ein befahrener Mann. Und er ist der Kapitän, dem der Eigner bedingungslos vertraut. Beim Bau hatte er nahezu freie Hand. Wie weit dieses Blick unter Wasser zu erhaschen. Und die Sensation dort trifft den Besucher völlig unerwartet: Es herrscht komplette Stille. Kein Knarzen oder Klappern, kein Quietschen, kein Meeresrauschen außenbords – einfach Ruhe. Entkoppelt wie in einer Raumkapsel, vorangetrieben durch eine scheinbar unbekannte Kraft, bewegt sich diese mächtige Maschine Vertrauen geht, verdeutlicht folgende Geschichte: Als es um die Auslegung des Segelplans geht, kam ein Rollgroß zur Sprache. „Da habe ich die Vor- und Nachteile erläutert und gesagt: Wenn das Boot ein Rollgroß erhält, werde ich nicht sein Kapitän sein“, erzählt Cannoni beim Abendessen nach der Ausfahrt. „Nach einer langen Pause, in der alle am Tisch schwiegen, sagte der Eigner schließlich: ‚Dann eben durchgelattet mit Park-Avenue-Baum.‘“ Schließlich fügt der prinzipientreue Italiener grinsend hinzu: „Da fiel mir schon ein Stein vom Herzen. Das waren lange Minuten des Schweigens.“
Resultat: Satte 188 Quadratmeter North-Laminat prangen nun am Mast, mit einem eins zu zwei übersetzten Fall, das am Mastfuß über eine der vier hydraulischen 88er-Lewmar-Winschen gefahren wird. Für Manöver wie Segelsetzen oder Halsen kann, wenn es schnell gehen soll, der steuerbordseitige Generator gestartet werden. An den ist eine Hydraulikpumpe angeflanscht, sodass Extrapower für schnelles Arbeiten zur Verfügung steht. Doch auch die elektrische Pumpe allein sorgt schon für ordentlich Druck auf den Trommeln. Davon gibt es übrigens im Cockpit weitere acht, vier davon in der großen 111er-Version. Auch hierzu existiert eine Geschichte: Diesmal handelt sie vom Eigner, der selbst Regatten segelt und auf dem vorherigen Schiff beobachtete, dass sein Kapitän gern mit Barberholern auf den Vorschoten arbeitete. Dazu, meinte der Eigner, brauche er doch sicher eine Extra-Winsch je Seite. Der Kapitän sah es genauso.
Leistungsstarker Segelplan
Das Segellayout funktioniert indes vorzüglich. Ja, es liegen ziemlich viele Leinen an Deck, das ist man im Post-Wally-Zeitalter so nicht mehr gewöhnt. Segeln allerdings lässt sich die Judel/Vrolijk & Co Konstruktion selbst mit Skeleton-Crew bestens. So verrichten etwa die nach achtern geführten Leinen für den Gennakerhals in ihrer Freizeit auch Dienst als Bullenstander, die Fallen sind am Mast aufgeschossen, alles ganz traditionell und ohne Fallenschlösser. „Das hat doch über Jahrhunderte gut funktioniert, das muss man nicht ändern“, ist der Kapitän überzeugt. Wer es mit noch mehr Hydraulik und Knöpfchen an der Steuersäule besser findet, der bekommt auch das von der Werft. Die egeleigenschaften geben dem meinungsfesten Cannoni jedenfalls recht. An der Kreuz lässt sich „Polina Star IV“ dank Contesttypischer Kardanübertragung mit angenehmem Ruderdruck an der Windkante dirigieren. Wer Omnibusfahren erwartet hat, wird eines Besseren belehrt; das hier ist eher eine sportliche Oberklasselimousine – die der Eigner gern selbst steuert.
Und wie sie segelt! Am Karbonrad von Exit stehend fahren noch gut fünf Meter Schiff hinter einem her, nach vorn sind es über zwanzig. Dabei verschieben schon kleinste Steuerbewegungen den Horizont in die eine oder andere Richtung, ganz wie auf einer 45 Fuß messenden Yacht. Auch in Böen legen sich die 55 Tonnen auf die Seite, und die Contest nimmt Fahrt auf. Dabei ist der Segelplan vor allem eines: vielseitig. Genua und Stagsegel sind fest angeschlagen auf eigenen Furlern, im geräumigen Segellocker vorn warten ein kleiner und ein großer Gennaker sowie ein Code Zero auf ihren Einsatz. Das Groß verfügt derweil über drei Reffs. Das Resultat: „Wir haben Set-ups von fünf bis fünfzig Knoten Wind“, freut sich der Kapitän. Genua und Groß bringen es dabei auf eine Segeltragezahl von 4,8. Das bewegt sich im Terrain eines Performance-Cruisers.
Exzellente Schalldämmung
Als der Hafen von Scarlino nördlich von Punta Ala näher rückt, wird der Motor gestartet. Das Einzige, was davon zeugt: Die Verbrauchsanzeige auf dem Volvo-Display springt im Leerlauf von 0,0 auf 2,2 Liter pro Stunde – sonst nichts. Keine Vibration und erst recht kein Geräusch ist zu verspüren. Das ist sogar etwas unheimlich, denn durch die fehlende Rückmeldung am Ohr zweifelt der Steuermann an der Funktion des Aggregats. Beim Thema Schallisolierung – der Begriff „Dämmung“ ist eigentlich eine Untertreibung – treibt es die Werft von jeher auf die Spitze. Es beginnt damit, dass der gesamte Motorenraum eine von insgesamt fünf wasserdichten Abteilungen ist. Die Maschine entkoppeln Drucklager vom Antriebsstrang, was weiche Motorlager zulässt, die Übertragungen von Vibrationen auf den Rumpf verhindern. Wasser- und Hydraulikpumpen sind hier ebenso untergebracht wie die Hochdruckpumpen der beiden Wassermacher, die wiederum wartungsfreundlich im Crewbereich im Vorschiff montiert sind. Auch der durchgesteckte Mast, sonst gern der kräftige Bläsersatz im Schiffsgeräusche- Orchester, bleibt stumm. Natürlich verhindern des Weiteren spezielle Türschnapper das Klappern, und selbstverständlich liegen alle Bodenbretter auf Gummifüssen. Voraussetzung für ein ansonsten ebenfalls ruhiges Schiff ist jedoch ein steifer Rumpf. Wo sich im Seegang nichts bewegt, da knarzt auch nichts. Contest Yachts erreicht das durch den Bau von Rumpf und Deck im sogenannten One-shot-Infusionsverfahren.
Als die Leinen fest sind, beginnt Kapitän Cannoni mit einer Führung durch das Interior. Selbst hier trägt alles seine Handschrift. Und die ist geprägt durch seine misslichen Erlebnisse auf der Vorgängerin, der infolge eines Kielverlusts gesunkenen „Polina Star III“. Die Bodenbretter sind alle, sofern nicht dauerhaft verschraubt, mit einem Knebelverschluss gesichert, damit sie nicht aufschwimmen können. Die UKW-Funkanlage besitzt einen eigenen Akku hoch oben im Salon, und die Rettungswesten sind neben dem Niedergang platziert. Zusätzlich gibt es in jeder Kabine weitere Westen, falls ein Ausstieg durch die Notluken erforderlich wird. Diese befinden sich in allen Kabinen gemeinsam mit in der Decke verbauten Ausziehleitern. So stark der Einfluss Cannonis auch war, seine eigene und eine weitere Crew-Doppelkabine befinden sich im Vorschiff. Als crewfreundlicher, weil für die Freiwache näher am Cockpit gelegen, gilt die achterliche Variante.
Im Heck, hinter der an Steuerbord gelegenen Galley, aber schläft auf dem Contest-Flaggschiff der Eigner im angehobenen Bett aus matt lackierter Eiche, in das die Werfttischler sechs Griffmulden und reichlich Stauraum integrierten. Die makellosen Holzarbeiten kontrastieren Wetzels Brown Partners mit taubengrauen Lederpaneelen. So verfahren die Amsterdamer Inneneinrichter auch in der Gästekabine und im Salon, wo sie die samtenen Polster ebenfalls in Grau anlegten. Erfreulich: Die Crewquartiere unterliegen bis auf Vinyl- statt Eichenboden den gleichen Standards des gehobenen Innenausbaus. Alle Kojen verfügen über Leesegel, alle Ecken sind abgerundet. Die werden übrigens nicht nur an den Stößen als Leiste aufgesetzt, sondern als ganzes Profil in speziellen Formen laminiert. Das ist ein sehr haltbarer, aber auch aufwendiger Fertigungsweg, da für jede Ecke eine eigene Form gebaut werden muss, in der die einzelnen Furnierlagen miteinander verklebt werden. Natürlich geschieht das ebenfalls unter Vakuum. Gleiches gilt für die Befestigung des Teakdecks; auch hier wird aus Gründen der Langlebigkeit geklebt statt geschraubt.
Simple, redundante Systeme
Kapitän Cannoni entwickelte zusammen mit der Werft eine ganze Reihe von technischen Detaillösungen. Wie die Tankanlage: Zwei große Behälter versorgen einen Tagestank. Das geschieht durch einen mächtigen Filter, und der Transfer gelingt notfalls mittels Schwerkraft. Von dort gelangt der Diesel wieder durch Filter zu den Generatoren und zum Hauptaggregat. Der Filter für den 184-Kilowatt-Volvo ist umschaltbar und somit redundant ausgelegt. Die Durchführung der Welle ist fettgeschmiert. Ungewöhnlich, bei Contest aber üblicherweise so gelöst: „Wir haben uns viele andere Dichtungen angeschaut, aber das scheint uns die solideste zu sein. Du kannst einfach Fett nachdrücken, und es ist dicht“, so Werftchef Arjen Conijn. Und so ließe sich die Liste fortsetzen. Die Contest 85CS ist ein für die Größe dennoch erstaunlich unkomplexes Schiff. Unter Deck setzt der Kapitän etwa auf natürliche Belüftung; die vorhandene Klimaanlage läuft sehr selten. Die Konzession: Statt eines glatten Vordecks stehen dort nun sechs Doradelüfter, die auf dem Weg übers Vordeck, so der Kapitän, Halt geben.
Wenn Technik verbaut ist, dann ist sie redundant, wie die Wasseraufbereitungsanlage und die Generatoren. Für unkomplizierte Ersatzteilversorgung sind jeweils beide baugleich. Der Eigner plant eine Weltreise, bei der er selbst viel an Bord ist und steuert. Daher achterliche Kabinenlösung und die hohen Segel- und Komforteigenschaften. Letzteres erreichen Werft und Konstrukteure durch die sogenannte Center-Line-Strategie. Pantry, Betten und Nasszellen sind alle so weit wie möglich entlang der Schiffslängsachse verbaut, sodass man etwa beim Duschen auf See weniger Schiffsbewegungen verspürt. Auch die Schränke lassen sich weitestgehend in Fahrtrichtung oder umgekehrt öffnen, damit der Inhalt bei Lage nicht herausfällt.
Aus Sicht der Werft ist die „Polina Star IV“ sicher ungewöhnlich. Doch sie zeugt davon, wie ernst das Familienunternehmen aus Medemblik das Thema Kundenwünsche nimmt. „Ein festes Bimini ist mit Sicherheit nicht besonders elegant. Auch die Lüfter auf dem Vordeck finden wir nicht sonderlich gelungen. Und Contest-Yachten sind meistens dunkelblau. Doch der Kunde hatte seine eigenen Vorstellungen, die wir selbstverständlich bestmöglich umsetzen“, erklärt Arjen Conijn. So ist die 85CS fast schon mit Reminiszenzen an Exploreryachten versehen: die einfache Robustheit, die sich durch das gesamte Schiff zieht, der grundsolide Bau, die Redundanz wichtiger Systeme, der stets gut bedienbare Segelplan und der pflegeleichte und in warmen Gefilden kühler bleibende weiße Rumpf. All das hat die Werft professionell realisiert, als ob ein solcher Bau etwas ganz Alltägliches sei. Doch das war es nicht: Ein solches Format passt zum Beispiel nicht durch die Schleuse, die die Werft vom IJsselmeer trennt. Der Transport auf freies Wasser erfolgte per Ponton. „Das war morgens früh um sechs“, erinnert sich der Werftchef. „Ich war an dem Tag verhindert, aber mein Vater war in aller Herrgottsfrühe dort und hat Fotos gemacht. Er schickte sie mir gleich. So ist das in einem Familienbetrieb.“